»Die Welt wird nie wieder analog« ((Ulrich Proeschel (PAGE Nr. 08/01) )) ist als Editorial in der aktuellen Ausgabe des Themenheftes »Medien & Bildung« am Medienzentrum der Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg erschienen und ist eine Co-Produktion von Sebastian Plönges und mir.
Provokante Thesen wie die 2001 von Ulrich Proeschel getroffene Aussage können und sollen nachdenklich stimmen: Ist die Welt heute, im Jahr 2014, digital? Oder ist man Wanderer zwischen zwei Welten, einer digitalen und einer analogen? Ist Letztere durch Erstere bedroht? Wird sich unser komplettes Leben irgendwann digital abspielen? Zur Zeit gehören Liebesgeschichten mit einem Betriebssystem, wie sie etwa im jüngst veröffentlichten Kinofilm »her« ((Seite „Her (2013)“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie.Abgerufen: 10. April 2014, 09:32 UTC)) (Trailer zum Film) erzählt wird, noch ins Genre der Science Fiction. Bemerkenswert ist aber, dass selbst hier, im Szenario weitreichendster Digitalisierung, der Regisseur und Drehbuchautor Spike Jonze der Echtheit des Digitalen misstraut. Als Resultat solcher Skepsis wird das Analoge der Welt betont. Diese Dialektik lässt sich auch außerhalb des Kinos beobachten, beispielsweise im Bereich der Fotografie: Wurde digitale Fotografie gerade unter Experten anfangs nicht ernst genommen, hat sich das Bild mit zunehmender Qualität der technischen Geräte und ihrer Durchsetzung am Markt grundsätzlich gewandelt. Mittlerweile lassen sich analoge Fotoartikel fast nur noch im wohlsortierten Fachhandel erwerben; analog produzierten Bildern wird im Vergleich zu beliebig duplizierbaren digitalen ein eigenartiger Mehrwert zugesprochen. Die Aufwertung des Analogen geht sogar so weit, dass nachträglich Fehler (Körnung, Staub, Kratzer…) in digitale Formate eingearbeitet werden. Beim Briefverkehr können ähnliche Entwicklungen beobachtet werden: Wer heutzutage anstelle von Kurznachrichten, E-Mails oder eben digitalen Schnappschüssen in Retro-Optik eine »ganz normale« Postkarte erhält, dem widerfährt schon etwas Seltenes. Weiterlesen
Die Tür wird geschlossen, der Unterricht beginnt. Das ist Alltag an den meisten Schulen und Hochschulen wie auch in außerschulischen Bildungsarrangements. Seit einiger jedoch Zeit gibt es Formate, die sich stärker nach außen öffnen bzw. die Offenheit als zentrales Element haben.
Eines dieser Formate ist das BarCamp, das im Jahr 2005 als Gegenangebot zum FOO Camp entstand. Das FOO Camp war eine Konferenz, zu der man nur mit einer persönlichen Einladung kommen konnte, ausgerichtet für die „Friends Of O’Reilly”. Das FOO Camp sollte eine offen gestaltete, selbstorganisierte Konferenz sein mit dem Ziel, sich auszutauschen und gemeinsam an den unterschiedlichsten Themen zu arbeiten – ohne formale Vorgaben hinsichtlich des Inhalts, des Ziels, der Form etc.:
„It’s our chance to get to know new people who are doing interesting work in fields that we are trying to learn about”. ((Cross, J. (2006): Informal Learning: Rediscovering the Natural Pathways That Inspire Innovation and Performance (Essential Knowledge Resource). Jossey Bass, S. 209))
So weit so gut. Das Problem dieser jährlich stattfindenden Konferenz war ihre Exklusivität. Zirka eine Woche vor dem FOO Camp 2005 begannen einige ehemalige Teilnehmer_innen, die nicht erneut zum FOO Camp eingeladen waren, sich in ihren Blogs hierüber auszutauschen. Einer von ihnen, Andy Smith, hatte in diesem Zusammenhang folgende Idee:
»Meet BAR (meaning »beyond all recognition«) Camp, an open, welcoming, once-a-year event for geeks to camp out for a couple of days with wifi and smash their brains together. It›s about love and geekery and having a focal point for great ideas, like FOO but open.« ((ebd., S. 211))
Sieben Tage vor dem Termin der beiden parallel stattfindenden Camps stand das BARCamp ohne finanzielle Mittel und ohne Räumlichkeiten da, was im Vergleich zum FOO Camp des O’Reilly Verlags abenteuerlich wirkte. Doch innerhalb weniger Tage gab es einen Sponsor für den Veranstaltungsort und weitere Sponsoren, die für eine Infrastruktur mit W-Lan, Speisen und Getränken sorgten. Für die Organisation und Dokumentation wurde ein Wiki aufgesetzt, welches bis heute für die Verlinkung von BarCamps überall auf der Welt genutzt werden kann: http://barcamp.org. Damals war es explizit zur öffentlichen Dokumentation des BARCamp vorgesehen. ((ebd., S. 212))
Die Offenheit bezog sich jedoch nicht nur auf die Möglichkeit zur Teilnahme und die Dokumentation nach außen, sondern vor allem auf die inhaltliche Ausgestaltung. Bis zum Beginn der BarCamps gibt es im Regelfall kein festgelegtes Programm, sondern höchstens eine thematische Rahmung, wie z.B. Bildung, Lernen und Lehren bei den EduCamps. ((EduCamp, http://educamp.mixxt.de, 9.03.2013)) Die genauen Inhalte bringen die Teilnehmer_innen mit; Jede_r kann eine Session zu einem selbst gewählten Thema vorschlagen. Ob die Session stattfindet und ein Raum dafür zur Verfügung gestellt wird oder nicht, ist abhängig vom Interesse der anderen Teilnehmer_innen des BarCamps. Das Besondere an diesem Format: Die Veranstalter treffen keine Auswahl der Vortragenden oder der einzelnen Themen. Es liegt also an den Teilnehmer_innen ein für sie selbst interessantes Programm zu gestalten.
Thematisch fokussierter sind die sogenannten MOOCs (Massive Open Online Courses). Gleichzeitig sind sie, wie der Name schon sagt, Open und Online. Statt physikalischen Räumen wie beim BarCamp werden hier digitale Räume in Form von Wikis, Blogs, Twitter und Videokonferenz-Diensten genutzt, um die Teilnehmer_innen in Kontakt zu bringen und die Themen zu behandeln. Die Eigenmotivation spielt auch hier wieder eine große Rolle. Sie ist erforderlich, um sich selbst einen roten Faden zu legen, um im Informationsangebot der Organisatoren_innen, der Referenten_innen und der anderen Teilnehmer_innen nicht unterzugehen, sondern ein den eigenen Interessen und zeitlichen Ressourcen entsprechendes Arrangement an Lerninhalten und Lernpartner_ innen zu gestalten.
Im Gegensatz zu den Barcamps, die meist nur zwei bis drei Tage am Stück stattfinden, ziehen sich die MOOCs über mehrere Wochen. Für jede Woche werden von zentraler Stelle Impulse zu bestimmten Unterthemen im Rahmen des MOOCs angeboten. Die Teilnehmer_innen der MOOCs ergänzen diese Inputs und bearbeiten sie. All dies geschieht online und in der Regel öffentlich.
Bei MOOCs kommen pro Veranstaltung häufig mehrere Tausend Teilnehmer_innen zusammen. Die Teilnehmer_innenzahlen bei BarCamps übersteigen selten die Zahl 400.
Dies scheint nicht zuletzt den räumlichen Möglichkeiten geschuldet zu sein, die online praktisch keine Rolle spielen.
Sowohl BarCamps als auch MOOCs bieten sich besonders für informelle Bildungsprozesse an. Mit dem Einsatz von MOOCs wird in Deutschland zunehmend auch an Hochschulen experimentiert. So hat es beispielsweise an der Universität Tübingen im Rahmen des Studienganges Psychologie einen Open Course zum Thema „Workplace Learning” (#ocwl11) ((#ocwl11 Open Course Workplace Learning 2011 , http://ocwl11.wissensdialoge.de, 12.03.2013)) gegeben, in dem die Seminarstruktur bewusst geöffnet wurde und auch die Kurse „OPCO11” ((OpenCourse 2011, Zukunft des Lernens, http://blog.studiumdigitale.uni-frankfurt.de/opco11/, 12.03.2013)) und „OPCO12” ((OPCO12 Trends im E-Teaching, http://opco12.de, 12.03.2013)), an denen die Universität Frankfurt beteiligt war, haben die Möglichkeit geboten, Credit Points zu sammeln.
In der Beschreibung des Formats heißt es:
„Die Idee eines OpenCourses geht auf ein Konzept zurück, das von den kanadischen E-Learning-Experten Stephen Downes und George Siemens eingeführt wurde und eine Form des vernetzten Lernens im Sinne des Konnektivismus darstellt. Kennzeichnend für einen OpenCourse ist seine offene und dezentrale Infrastruktur: Einführende Papiere und Live-Sessions mit Experten geben Impulse und setzen einen thematischen Fokus. Die Teilnehmenden lesen, kommentieren, stellen Fragen, diskutieren online weiter: In ihrem eigenen Blog, ihrem Facebook-Profil oder Twitter-Kanal. Ihre Lernziele definieren sie dabei selbst. Die Organisator_innen des Kurses bieten eine zentrale Anlaufstelle und eine Agenda im Netz, fassen Beiträge, Kommentare und Diskussionen zusammen und verteilen diese über einen Newsletter.” ((Willkommen zum OpenCourse 2012, http://opco12.de/willkommen-zum-opencourse-trends-im-e-teaching/, 10.03.2013))
Wir dürfen gespannt sein, ob und wie diese offenen Veranstaltungsformate den Bildungsbereich beeinflussen werden. Glaubt man den Einschätzungen einiger Expert_innen, die etwa in der Ausgabe Nr. 12/2013 der Wochenzeitung „Die Zeit” ((Drösser,C.und Heuser,U.J.,„Harvard für alle Welt“, Die Zeit, 14.März.2013, S. 35)) zu Wort kommen, steht dem Bildungsbereich eine Veränderung bevor, die nur von wenigen Institutionen überlebt werden wird. Eine These die mich an den Film „True Fiction” ((Fakultät EPB an der Universität Hamburg, Projekt ePUSH, Film „True Fiction“, 2010 http://truefiction-derfilm.de)) erinnert, in dem diese Gedanken ebenfalls formuliert wurden.
Wohin geht die Reise?
Einfache Formen von augmented reality (AR) umgeben uns jetzt schon. So gibt es Programme für bestimmte Mobiltelefone die, so die Kamera an ist, zu anvisierten und per Software identifizierten Bauwerken die zugehörigen Informationen aus Wikipedia abruft – als ein vernetzter, globaler Stadtführer. In Kraftfahrzeugen werden die Fahrzeugdaten teilweise bereits in der Art eines Head Up Displays (HUD) auf/in die Windschutzscheibe gespiegelt, warum sollten nicht auch Hinweise zum umgebenden Verkehr eines Tages als visuelle Überlagerung eingeblendet werden? Im Gegensatz zum HUD sind bisher meist externe, bewusst abzurufende Displays erforderlich, aber erstere liefern bereits jetzt einen Eindruck davon, was eines Tages möglich und vielleicht selbstverständlich sein könnte.
Technische Medien stellen einen Mehrwert zur Realität dar, nehmen bisher aber nur eingeschränkt selbstständig Bezug zu realem Ort, Zeit und Kontext ihrer Nutzung. Ein Schild mit der Aufschrift »Fachbereich Erziehungswissenschaft« am Gebäude oder die Uhrzeit auf der Armbanduhr liefern zwar Informationen die unsere Realitätswahrnehmung erweitern, sind aber in ihrer Mobilität oder ihrem funktionalem Gehalt festgelegt. Im Gegensatz dazu können mobile und vernetzte digitale Geräte mit z. B. GPS, Bewegungssensoren oder Kamera und Bilderkennungssoftware Informationen zum Aufenthaltsort, zu anwesenden Personen, Objekten oder Prozessen liefern: Das Ergebnis wäre eine dynamische Erweiterung der Realität, so das Konzept der augmented reality (AR).
Denkbar wäre künftig z.B., dass ein Lehrer eines Tages beim ersten Betreten einer Schulklasse über AR-Kontaktlinsen die Namen und Kurzinformationen zum Dossier der Schüler ‹über› Ihnen erscheinen lassen kann.
Bei Exkursionen in den Wald können die Schüler sich Informationen aufrufen zu den Pflanzen und Tieren die sie gerade entdecken, bei Ausstellungsbesuchen die zu Exponaten. Diese Informationen werden einfach in das Sichtfeld der jeweiligen Person eingeblendet und stellen ergänzende Informationen zur Verfügung.
Und in Klausuren oder bei Lehrerfragen hätten die Schüler die Möglichkeit … wozu? Was unterscheidet die Prüfungssituation vom Alltag in einer AR-Welt, was rechtfertigt die Nutzung von Wörterbüchern und Taschenrechner, aber nicht von Wikipedia oder Mustererkennungssoftware? Welchen Einfluss wird es auf Bildungsprozesse haben, wenn Lernende und Lehrende stets auf Zusatzinformationen zugreifen können, ohne dass dies von außen sichtbar ist – nicht nur während der Schulzeit, sondern ein Leben lang? Wäre Unterricht in seiner klassischen Form noch denkbar, wenn Fragen des Lehrers oder Prüfungsaufgaben automatisch ausgewertet und die Lösung in das Sichtfeld des Schülers eingeblendet werden könnte? Wie würden sich Lehren und Lernen insgesamt verändern, wenn die Vermittlung von Sachinhalten zunehmend an Bedeutung verliert? Verschärft AR das Problem der nötigen Selektionsfähigkeit in einer medial bereits überladenen Welt? Und wie müsste AR gestaltet sein um Lehren, Lernen und Leben an einer Universität zu unterstützen?
Schreiben Sie Ihre Gedanken als Kommentar zu unserem Blogbeitrag zu augmented reality in dem wir auch einige Beispielvideos veröffentlicht haben. Den Blogeintrag finden Sie unter: http://u.lioci.com/eduar
In jedem Fall wünschen wir Ihnen ein angenehmes Semester, unabhängig davon wie sehr sie ihre Realität schon erweitert haben.
Für das Team vom Medienzentrum,
Ralf Appelt & Wey-Han Tan
Bildquellen:
“Ein Schiff wird kommen” von Sebastian Ploenges
Film true fiction www.truefiction-derfilm.de
Der »Information Overload«, mit dem wir uns alltäglich am Zeitungskiosk, in Bibliotheken, in der e-Mail Inbox und natürlich vor allem im Internet beschäftigen müssen, macht es einem manchmal schwer, den richtigen Einstieg zum Lernen für die Klausur oder zum Schreiben der Hausarbeit zu finden. Kurzum: Es geht nicht mehr darum, die benötigten Informationen zu finden, sondern vor allem darum, einen Überblick über die Informationen zu behalten, die für das eigene Thema relevant sind. ((Photo Personal Learning Environment von adesigna bein flickr))
»Irgendwo hab ich das doch schon einmal aufgeschrieben. Irgendwo hatte ich das Thema doch bereits.«
Solche oder ähnliche Gedanken werden manch einem bekannt vorkommen. Aber Weiterlesen